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Es hatte einmal ein Fuhrmann seinen Karren, der mit Wein schwer beladen war, festgefahren, 
so daß er ihn trotz aller Mühe nicht wieder losbringen konnte. Nun kam gerade die Mutter 
Gottes des Weges daher, und als sie die Not des armen Mannes sah, sprach sie zu ihm:
"Ich bin müd und durstig, gib mir ein Glas Wein, und ich will dir deinen Wagen wieder frei 
machen."
  
"Gerne", antwortete der Fuhrmann, "aber ich habe kein Glas, worin ich dir den Wein reichen 
könnte."
  
Da brach die Mutter Gottes ein weißes Blümchen mit roten Streifen ab, das man Feldwinde 
nennt und einem Glas sehr ähnlich sieht, und reichte es dem Fuhrmann. Er füllte es mit Wein, 
und die Mutter Gottes trank ihn, und in diesem Moment ward der Wagen wieder frei und der 
Fuhrmann konnte weiterfahren.
  
Das Blümchen heißt seit diesem Tage »Muttergottesgläschen«.
 
  
Jacob Grimm, (1785 - 1863),  
deutscher Sprach- und Literaturwissenschaftler, mit seinem Bruder Wilhelm - die Gebrüder Grimm  |