Menschenwürde

Wie ich im gestrigen Bericht schrieb, setzten wir ja von Cuxhaven aus in Bremerhaven mit der Weserfähre über.

Vor bzw. auf der Fähre hatten wir ein Erlebnis, welches mich sehr beschäftigt hat und auch immer noch beschäftigt.

Als wir am Fähranleger ankamen stieg mein Mann aus, um die Gebühren anzuschauen, er wollte das Geld passend bereit halten wenn die Fähre kommt.

Neben der Auffahrt stand ein Mann mit einem Fahrrad, der sich bemühte einen Fahrradanhänger an ein Fahrrad zu befestigen.

Er sprach meinen Mann an, und bat ihn ihm kurz dabei zu helfen, sie unterhielten sich noch ein wenig, und dann fragte der fremde Mann, ob mein Mann ihm helfen könne, er habe nur 2,10 € und kann dafür nur das Fahrrad mitnehmen, nicht aber den Anhänger, es fehlen ihm 50 Cent.

Erwin gab ihm die 50 Cent, und der Mann war so voller Freude, bedankte sich, weil er doch jetzt auf die andere Seite kam.

Auf der Fähre, als wir die MS Deutschland sahen und ich mit der Kamera beschäftigt war, bedankte der Mann sich noch einmal bei Erwin.

Nachdem ich mich zu den beiden gesellte, erzählte er wie froh er sei, dass es heute nicht mehr regnet, denn er sei ein Wohnungsloser und außer dem Rad und dem Anhänger mit dem Inhalt habe er nichts mehr.

Ich mochte den Mann nicht fragen, wie er zum Wohnungslosen geworden sei, ich war überrascht über seine Zufriedenheit die er ausstrahlte, keine Verbitterung über sein Los, keine Beschwerden wie schlecht es ihm ginge.

Aber auf das Fahrrad sei er sehr stolz, er sei so froh über dieses tolle Fahrrad, welches er jetzt habe. Sein Rad sei ziemlich hin gewesen, und da habe ihm ein Pastor dieses, so gut aussehende, Rad geschenkt. Allerdings wären die Speichen bei seinem alten Fahrrad besser gewesen, und so habe er die alle ausgetauscht und jetzt habe er so ein gutes Rad, dass er mitunter von der Polizei angesprochen würde, wo er das Rad her habe.

Aber zum Glück hatte er von dem weitsichtigen Pastor eine Schenkungsurkunde bekommen. Mit Adresse und Telefon Nummer des Pastors, so dass er immer nachweisen könne, dass das Rad ihm gehöre.

Erwin fragte kommt das denn auch vor, dass die dort anrufen, und er sagte ja, das passiert, aber zum Glück habe ich ja diese Unterlage und der Pator bestätigt das dann am Telefon.

Ich war entsetzt, und dachte das ist ja im Grunde eine Beleidigung wenn er immer wieder verdächtigt wird, dass das Fahrrad nicht ihm gehört.

Ich überlegte, wie ich mich fühlen würde, wenn man mir stets unterstellen würde, dass irgendetwas (Fahrrad oder etwas anderes) nicht mir gehören könne.

Das ist doch verletzend und tut weh. Wo bleibt denn da die Würde eines Menschen?

Mich beschäftigt das sehr, und vielleicht hätte ich ihn doch fragen sollen, wieso er in diese Leben gerutscht ist, aber das wäre mir wie ausfragen vorgekommen. Ich fand die Behandlung wegen des Fahrrads schon schlimm genug.

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14 Antworten zu Menschenwürde

  1. aNette sagt:

    Ja, ich verstehe was du meinst. Manchmal hat man dieses Gefühl, man darf einen Menschen nicht ausfragen und man lässt es. Die verschiedenen Male, wo ich mich gegen mein Gefühl gestellt habe und dennoch gefragt habe, habe ich immer freundliche oder sogar eifrige Antworten bekommen, zumindest soweit ich mich zurückerinnern kann. So sind z.B. zu zwei behinderten Menschen eine relativ intensive Freundschaften entstanden, nur weil ich vorsichtig aber ausführlich gefragt habe, wie es denn zu dieser Situation gekommen sei. Der eine war querschnittsgelähmt und berichtete mir, er sei mit 16 in ein unbekanntes Gewässer gesprungen. Da er freimütig berichtete, habe ich weiter gefragt und dabei die erstaunlichsten Dinge erfahren. Wir waren jahrelang in Kontakt, hat sich jetzt aber verloren. Die Zweite Person, eine Frau, war blind. Auch auf meine Frage nach der Ursache erfuhr ich, dass sie auf Grund eines Diabetes erblindet sei. Sie war daraufhin jahrelang meine Freundin, verstarb aber vor ca 4 Jahren an ihrer Grunderkrankung. Ich bin der Meinung, man sollte einem Menschen schon Interesse entgegen bringen, das ist auch ein Form von Menschenwürde. Nein sagen kann er immer noch. In diesem Sinne, schönen Sonntag,
    lg aNette :ja:

    • Agnes sagt:

      Die Fahrt über die Weser war auch zu kurz, als dass wir uns hätten ausgiebig mit ihm unterhalten können.
      Was mich so umgehauen hat und immer noch beschäftigt, dass er nicht selten verdächtigt wird das Rad gestohlen zu haben, und daher diesen Brief des Pastors wie einen Schatz in der (leeren) Geldbörse aufbewahrte.

  2. Werner sagt:

    Die Gründe für eine Obdachlosigkeit sind sehr vielschichtig und auch manchmal nicht zu verstehen.
    Ich habe mal Ehrenamtlich in Stuttgart bei der Obdachlosenhilfe gearbeitet und musste mich öfters wundern mit welchem Stolz und Ehrgefühl manche ihr Schicksal ertragen haben. Mir tun dies Menschen einfach leid und ich helfe ihnen wenn ich kann. Allerdings gibt es eine Ausnahme dabei, das sind solche die alkoholisiert sind und pöbeln, dabei sich auch nicht helfen lassen wollen.
    Da hört auch meine Hilfsbereitschaft auf.
    Grüßle Werner

    • Agnes sagt:

      Wenn er so ausgesehen hätte, als wenn Alkohol sein täglicher Begleiter wäre, hatte Erwin im das Geld auch nicht gegeben.
      Wir haben ihm auf dem Schiff noch etwas Geld für ein Mittagessen gegeben, wir waren sicher, dass er es nicht in Alkohol umsetzt.
      Aber man muss da schon sehr vorsichtig vorgehen, damit man einen Menschen nicht beleidigt finde ich.
      Ich fühlte mich echt nicht gut, als ich überlegte, dass wir aus einem Urlaub zurückkommen, und es uns doch so gut geht, und welches Leben dieser Mann hat.

  3. Lemmie sagt:

    Liebe Agnes!
    Als wir in Hamburg auf die Auslaufparade warteten, saß bei uns ein auf den ersten Blick gepflegter Mann. Wir kamen mit ihm ins Gespräch. Er war Bulgare, sprach sehr gut deutsch und erzählte, dass er keine Unterkunft hat. Er sucht schon lange Arbeit, aber bisher ergab sich nichts.
    Irgendwie war ich verwundert, dass er keinen Job finden konnte, denn er wirkte sehr symphatisch. In einem kleinen Koffer war seine ganze Habe.
    Lieben Gruß
    Lemmie

    • Agnes sagt:

      Dann war das ja eine fast ähnliche Situation.
      Es ist schon arg, wenn Menschen keine Wohnung haben und sich so durchs Leben schlagen müssen.
      Mich hat ja nur so geschockt, dass man ihn immer wieder verdächtigt, das Fahrrad geklaut zu haben, und sich sogar telefonisch bei dem Pastor erkundigt, ob das mit der Schenkungsurkunde auch richtig ist.
      Das würde mich ja so verletzten wenn ich in der Situation wäre.

  4. Kerstin sagt:

    Die Geschichte gibt einem wirklich zu denken…

    LG, Kerstin

    • Agnes sagt:

      Dann weiß man erst wie gut es uns geht.
      Wenn ich mich abends ins Bett lege, bin ich immer so froh, dass ich ein Bett habe, und manches Mal denke ich an Menschen die kein Bett haben.

  5. kernibikern sagt:

    So ein Erlebnis wirkt nach – schon dein Bericht lässt mich innehalten. Ich finde es gut, dass du dein Erlebnis hier mitgeteilt hast.
    LG, Thomas

  6. liebe agnes, in diesem zusammenhang erinnere ich mich an lissabon, nachts schliefen die menschen in den ladeneingängen, wohlhabende gegend! natuerlich fragt man sich in diesem moment… muss dies noch in unserer gesellschaft sein? müssen menschen immer noch hungern usw. .. .. danke für deinen besuch, schleppe mich immer noch mit einer fiebrigen bronchitis herum, ist aber schon besser, daher bin ich etwas später in den kommentaren! bis bald sei lieb gegruesst manfred

    • Agnes sagt:

      Ich weiß es nicht, wie Menschen in so eine Situation geraten, dass sie keine Wohnung mehr haben.
      Arbeitslosigkeit, eine große Wohnung die man dann nicht mehr bezahlen kann, und als Arbeitsloser findet man wahrscheinlich keine andere kleiner Wohnung etc.
      So könnte es passieren.

  7. Gerd sagt:

    Was für eine Geschichte, ist schon traurig! Allerdings gibt es unter diesen Menschen auch andere Beispiele die einem immer wieder ein großes Kopfschütteln verursachen. Aber, muss man in Deutschland wirklich Wohnungslos sein? Das verstehe ich nicht!

    LG Gerd

    • Agnes sagt:

      Gerd ich weiß es nicht warum er wohnungslos war, die Zeit auf der Fähre war auch zu knapp um sich lange zu unterhalten.
      Er erzählte uns die Geschichte mit dem Fahrrad und ich war zuerst mal so betroffen von allem.
      Ich habe mal von einem Fall gehört, dass in München ein (ich glaube Professor) auf ganz seltsame Weise wohnungslos wurde, ich habs vergessen wie es war, aber ich könnte noch mal nachfragen wie das noch war.
      Der Mann war ein Poet, ich schick Dir mal etwas von dem, mit Bild, das hab ich noch.

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