Reise nach Berlin

Es wurde mir schon ein bißchen viel, am Donnerstag schon wieder die Koffer zu packen.

Der Urlaub ist ja gerade erst mal zu Ende, und dann schon wieder auf Tour.

Aber dieses Mal war es eine besondere Tour, eine ganz besondere, und die wollte ich auf keinen Fall versäumen, auch wenn mir nicht schon wieder nach verreisen war.

Unser Chor hatte eine Einladung bekommen, in Berlin, in der St. Hedwigs-Kathedrale, zu singen.

Das war für uns eine Ehre, und seit unserem letzten Konzert im Januar haben wir sehr intensiv eine neue Messe, und einige andere neue Stücke für diese Aufführung geprobt, nur ein Stück von Gluck haben wir früher schon mal gesungen, es mußte aber dennoch mitgeprobt werden, denn es sind neue Sänger dabei.

Am Freitag fuhren wir, gemeinsam in einem Bus, bei strahlendem Sonnenschein in Emsdetten ab, und je näher wir Berlin kamen, je unschöner wurde das Wetter. Bei unserer Rast in Helmstedt war es zumindest noch trocken, aber dann gab es Regen, und der hielt auch in Berlin an, so dass der Freitag programmmäßig nicht so ablief wie es geplant war. Den Bummel durchs Nikolai Viertel ließen wir z. B. ausfallen.

Samstag schien dann zum Glück wieder die Sonne. Wir hatten bereits um 10.00 Uhr eine Probe in der Kathedrale und waren von der Akustik der Kirche begeistert. Obschon man das bei einer leeren Kirche schon anders empfindet. „Wie mag das morgen klingen, wenn Leute in der Kirche sind,“ fragten wir uns — und hoffentlich sind auch Leute da, bangten wir.

Die Hedwigs-Kathedrale ist eine römisch-katholische Bischofskirche. Sie ist eine wunderschöne Kirche, nicht prunkvoll wie manch andere barocke Kirche, mehr von einer schlichten Eleganz. Sie ist nicht länglich, wie andere Kirchen, sondern ein klassizistischer Rundbau der von einer imposanten Kuppel gekrönt wird.

1978 bekam die Kathedrale eine neue, große Orgel aus der Orgelbauwerkstatt Klais aus Bonn. Die Tatsache, dass ein bundesdeutscher Orgelbauer in der Hauptstadt der DDR in der katholischen Bischofskirche eine Orgel einbaute, dürfte wohl einmalig geblieben sein. Wenn ich mir die Photos bei Flickr etc. ansehe, dürfte die Orgel das meistphotographierteste Motiv der Kathedrale sein.

Nach der Probe fuhren wir zum Stasi-Museum in Berlin Lichtenberg (Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße), denn unsere Reise stand unter dem Motto „20 Jahre Mauerfall“.

Das Stasi-Museum ist die ehemaligen Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS, Stasi), eine Forschungs- und Gedenkstätte zum politischen System der DDR. Die Führung war für uns lohnenswert, uns wurde aus erster Hand über die damaligen Zeiten in der DDR berichtet.

Ob im Ministerbüro, im großen Konferenzsaal oder in den anderen Räumen, bis ins Detail spiegelte sich die Atmosphäre und der Geist des Machtapparats der DDR wider. Ich las einem Kommentar zu diesem Ort, den ich hier wiedergeben möchte: „Am Wichtigsten finde ich, dass man hier die Atmosphäre sehen, fühlen, riechen kann. Ja, riechen, denn das Haus riecht meiner Meinung nach noch immer nach DDR.“ Ja, es roch schon irgendwie komisch in den Gebäuden.

Das Büro von Erich Mielke, dem letzten amtierenden Minister für Staatssicherheit, der hier seinen Sitz hatte, ist im Original erhalten. Ich stand direkt vor seinem Schreibtisch, und der Gedanke war mir irgendwie unheimlich.

Ebenso sind die Observationstechniken in einer Ausstellung zu sehen sind. Man kann dort viele Beschreibungen der Einzelschicksale politischer Gefangener lesen und die „Bespitzelungsanlagen“ jagten mir einen Schauer über den Rücken. Mit jedem Ausstellungsteil zur operativen Technik des MfS, insbesondere die versteckten Fotoapparaten, Mikrophone und Waffen, belegen einmalige Sachzeugen die allgegenwärtige Bespitzelung der DDR-Bevölkerung.

Ich könnte mir vorstellen, dass dieses Museum bei der Eröffnung auch vielen Bürgern der ehemaligen DDR einen unbeschreiblichen Schrecken eingejagt hat, bzw. tut es heute noch. Vermutlich haben nicht alle (oder nur wenige) gewußt, wie weit die Stasi in ihr Privatleben eindrang. Photoapperate in einer Gießkanne, im Reißverschluß eines Anoraks, Kameras in Trabis, ich fand es schier unbegreiflich, und es schnürte mir teilweise die Kehle zu, was man den Menschen damals angetan hat.

Ich kann jedem Berlin Reisenden einen Besuch dort empfehlen. Photographieren ist erlaubt, aber aus verschiedenen Gründen hatte ich bewusst keine Kamera mitgenommen.
Auf dieser Seite sind 14 Bilder von den Orten die wir besucht haben. Einfach eins anklicken zur Vergrößerung.

Wir wurden alle sehr still nach diesem Besuch und fuhren, fast ein wenig bedrückt, nach Berlin zurück. Die restlichen Stunden des Nachmittags hatten wir zur freuen Verfügung, Erwin und ich schlenderten über den Alexanderplatz, gingen weiter zum Berliner Dom und machten dann eine einstündige Schifffahrt auf der Spree, das war nach den nachdenklichen letzten Stunden für uns am angenehmsten.

Viel Zeit hatten wir eh nicht, denn um 19.00 Uhr trafen wir uns bereits wieder im Foyer des Hotels um zur Distel zu gehen. Dort hatten wir Karten für „Staatsvorsitzende küsst man nicht“. Das traditionsreiche Berliner Kabarett hat dieses besondere Programm zum Thema „20 Jahre Mauerfall“ in den Spielplan aufgenommen. Auch das paßte zu dem gleichlautenden Motto unserer Reise. Der Sarkasmus mit dem das Thema hier behandelt wurde machte zwischendurch auch nachdenklich, aber im Allgemeinen lösten es mehr Lachsalven aus. Eine grandiose Darbietung.

Man gaukelte uns folgende Situation vor, nicht die DDR ist der Bundesrepublik, sondern die Bundesrepublik der DDR beigetreten! Ist das vorstellbar? Wie sähe es in Deutschland heute aus? Da kamen schon seltsame Gedanken auf.

Wir haben am Sonntag auf der Rückreise noch wiederholt die Pointen des Stückes aufgegriffen und uns amüsiert. So bekamen wir während der Vorstellung alle rote Tücher, die wir auf Geheiß schwenken mußten, diese Tücher hießen allerdings „Wink Elemente“.

Am Sonntag früh dann das Highlight unserer Reise. Bereits um 9.00 Uhr fanden wir uns in der Kathedrale ein, um, uns einzusingen, und die Stimmen besser in Schwung zu bringen. Zum ersten Mal seit vielen Jahren hatte ich wieder ein Flattern im Bauch, das hatte ich früher immer, aber in den letzten Jahren war mir das Kribbeln abhanden gekommen.

Wir wußten, dass Besucher, Musikkoryphäen, in der Kathedrale sein würden, was meinem Bauchgeflatter nicht unbedingt gut tat, auch befürchteten wir, dass aufgrund der Leichtathletik-Weltmeisterschaft sowie des sonnigen Wetters evtl. nur wenige Besucher der Messe beiwohnen könnten. Aber unsere Sorge war unbegründet, die Kirche war so voll, dass nicht einmal alle Leute einen Sitzplatz bekamen.

Langer Rede kurzer Sinn, ich hatte ein gutes Gefühl beim Singen, und das anschließende Lob unsers Dirigenten bestätigte, dass wir unsere Sache gut gemacht haben.

Mit einem Hochgefühl im Herzen, und voller Euphorie, eilten wir nach der Messe zum Hotel, die Kleidung wechseln, auszuchecken um danach gemeinsames Mittagessen einzunehmen.

Wir waren alle in einer super Hochstimmung, und fühlten uns einfach rundum glücklich. Die Aufführung in der Kirche war der absolute Höhepunkt unserer Reise.

Nach dem Essen kam noch ein Programmpunkt, der eigentlich nicht zu unserer Hochstimmung paßte.

Wir fuhren zur Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Das sind die Räumlichkeiten der ehemaligen zentralen Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit der DDR, die von 1951 bis 1989 in Berlin-Alt-Hohenschönhausen in Betrieb war. Dort wurden vor allem politische Gefangene inhaftiert und physisch und psychisch gefoltert. Leider war die Person, die unsere Gruppe durch die Gebäude führte, absolut nicht kompetent, obschon es ein ehemaliger Häftling war, der eigentlich aus erster Hand hätte berichten können. Das Ansehen der wirklich furchtbaren Zellen (Gummizellen ohne Fenster etc.) und Räumlichkeiten rief aber dennoch ein bedrückendes Gefühl bei mir hervor.

Die Untersuchungshaftanstalt befand sich bis 1989 in einem militärischen Sperrbezirk, der von der Außenwelt hermetisch abgeschlossen war. Das Gebiet war auf keinem Ostberliner Stadtplan eingezeichnet.

Die physische Gewalt der 50er Jahre wurde seit den 60er Jahren durch raffinierte psychologische Foltermethoden ersetzt. Über den Ort ihrer Haft ließ man die Gefangenen bewusst im Unklaren. Systematisch gab man ihnen das Gefühl, einem allmächtigen Staat ausgeliefert zu sein. Von der Außenwelt hermetisch abgeschnitten und von den Mitgefangenen meist streng isoliert, wurden sie durch gut ausgebildete Vernehmer monatelang verhört, um sie zu belastenden Aussagen zu bewegen.

Nach dem Mauerbau am 13. August 1961 wurden hier vor allem Menschen festgehalten, die aus der DDR fliehen oder ausreisen wollten. Kritiker der SED wie der Dissident Rudolf Bahro, der Schriftsteller Jürgen Fuchs oder die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley waren in Hohenschönhausen inhaftiert.

Nach dem bewegenden Rundgang dieser historischen Stätte verließen wir Berlin. Im Bus bereits wurden Pläne geschmiedet, wohin die nächste Chorreise gehen könnte.

Jetzt haben wir erst einmal zwei Wochen Pause, und dann — schaun wer mal, was dann geprobt wird. Ich freu mich schon auf das was jetzt kommen mag.


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12 Antworten zu Reise nach Berlin

  1. Uky sagt:

    Tztz da ist die kleine Alberich im großen Berlin und sagt kein einziges Wort.
    Zur Strafe gibts mal einen Berg zu :buegeln: :buegeln: :buegeln: :buegeln: :buegeln: :buegeln: :buegeln: :buegeln: :buegeln:

    Schön isses bei uns, oder? :freu:

    Liebe Grüße
    Uky

  2. Agnes sagt:

    @ Uky
    Wir hatten ja fast durchgehend Programm, da hätten wir uns eh nicht treffen können, daher habe ich es nicht erwähnt.
    Oder wärest Du morgens in die Kirche gekommen und hättest Dir unseren Gesang, inkl. einer 28 Minuten lange Predigt des Bischofs angehört???
    Ich war ja nicht das erste Mal in Berlin, ist nur halt schon etwas länger her. Es gibt schon sehr schöne Sachen in Berlin zu sehen, aber das, was wir am Wochenende gesehen haben, möchte ich nicht unbedingt als schön bezeichnen. Es gehört dazu, und hat mich ungemein beeindruckt.

  3. Das ist ein sehr interessanter und beeindruckender Bericht, den ich mit großem Interesse gelesen habe. Deine empfundene Beklemmung kann ich sehr gut nachvollziehen…

    Liebe Zitantengrüße von
    Christa

  4. Thea sagt:

    Ich freue mich für Euch, daß Euere Leistung soviel Anklang fand.
    Dein Bericht ist sehr schön und für mich sehr sehr interessant liebe Agnes. Dass die Führung durch Hohenschönhausen ein sehr bedrückendes Gefühl bei Dir/Euch hinterließ kann ich mir gut denken.

    Jetzt freu Dich mal über Deine Pause und geniese sie.
    Liebe Grüße
    Thea

  5. Helga/Rheinland sagt:

    Liebe Agnes,
    es ist aus Deinen Worten sehr spürbar, wie hoch erfreut und auch wieder sehr bedrückt Du diese Berlinreise erlebt hast. Aber wie so oft im Leben: Freude und Leid sind mitunter nah beieinander.
    Schön, dass Du wieder daheim bist und jetzt ein bisschen Ruhe genießen kannst. Die letzten Wochen waren wirklich ereignisreich und bewegt für Dich.
    Liebe Grüße von Helga

  6. Edith T. sagt:

    Man mag es kaum glauben -aber ich war noch nie in Berlin!
    Ich hoffe, dass ich in absehbarer Zeit einmal dort hin komme – dann möchte ich eine ganze Woche bleiben, denn es gibt ja wirklich viel zu sehen.
    Danke schön für den Bericht, liebe Agnes.

    Es freut mich für Dich / Euch, dass Euer Singen so erfolgreich war – das war sicher ein schönes Erlebnis :)

    Liebe Grüße, Edith T.

  7. Agnes sagt:

    @ Christa
    Das finde ich aber sehr lieb, dass Du den gesamten Eintrag gelesen hast.
    Hab ich (fast) nicht erwartet, dass das jemand macht.
    Ich habs son bißchen für mich geschrieben, damit ich es auch später mal nachlesen kann.

    @ Thea
    Die Pause wird (zum Glück) nicht so lange dauern, unser Dirigent läßt nur zwei Proben ausfallen, die in dieser Woche, was ja sehr verständlich ist, schließlich sind wir erst Sonntag sehr spät zurückgekommen, und in der nächsten Woche.
    Ich freue mich schon riesig wenn es wieder losgeht, und bin so gespannt was er uns als nächstes vorschlägt.

    @ Helga
    Das stimmt liebe Helga, Freude und Leid sind so oft im Leben sehr nah beieinander.
    Über die Chorpause freue ich mich gar nicht so sehr, das geht mir immer so nach einer Aufführung, dann möchte ich vor lauter Freude direkt mit neuen Dingen anfangen.

  8. Agnes sagt:

    @ Edith
    Ups, da waren wir beide ja (fast) zeigleich hier am Schreiben.
    Ich war auch erst einmal in Berlin, und das ist bereits 17 Jahre her. Seither hat sich viel geändert und verändert in dieser Stadt. 1992 war das noch ein ganz anderes Berlin.
    Ein Ehepaar aus unserem Chor plant demnächst für eine Woche nach Berlin zu fahren, und Fahrräder mitzunehmen, damit man auch die Außenbezirke besser kennen lernen kann.
    Bin gespannt wie denen das gefällt.

  9. Heinz-Josef sagt:

    Hallo Agnes,
    Agnes ist bestimmt wieder auf Tour hab ich mir gedacht als es so ruhig bei Dir zuging. Berlin ist schon eine schöne Stadt, aber auch eine Stadt die nachdenklich machen kann. Schön das Euer Chor so gut angekommen ist. Ich war vor 45 Jahren in Westberlin und wir sind auch mit der U Bahn nach Ostberin gefahren. Vor 8 Jahren war ich mal wieder da und mir gefällt die Stadt heute. Berlin ist immer eine Reise wert und wenn Agnes dort singt wird alles noch schöner.
    Alles Gute
    Heinz-Josef :jubel: :freu:

  10. Agnes sagt:

    @ Heinz-Josef

    Mir hat Berlin auch gut gefallen, man sollte öfter hinfahren.

    @ ALLE

    Ich hatte nicht gedacht, dass so viele diesen ausführlichen Bericht lesen werden.
    Herzlichen Dank für Euer Interesse und Eure Kommentare.

  11. Rolf sagt:

    Huhu Agnes,
    da hast Du ja an einer absolut tollen Reise teilgenommen. Zum einen der tolle und erfolgreiche Auftritt des Chors und zum anderen die eindrucksvollen Besuche in den verschiedenen „Sehenswürdigkeiten“ Berlins.
    Einen langen aber interessanten Bericht hast Du geschrieben.
    Tschüssi
    Rolf

  12. Agnes sagt:

    @ Rolf
    Es war eine sehr beeindruckende Reise. Wir stehen immer noch unter dem Eindruck dessen was wir gesehen haben, und natürlich unter dem Erlebnis, in dieser Kirche gesungen zu haben.
    Auch wenn ich keine Kamera dabei hatte um zu photographieren, die habe ich in den Tagen zum ersten Mal nicht vermißt.

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